Bauch-Geburtsbericht: "Meine selbstbestimmte Traumgeburt"

Wir können kaum genug betonen, wie wichtig es im Zuge der Geburtsvorbereitung ist, sich auch auf die Möglichkeit einer Bauchgeburt vorzubereiten. Schließlich wird in Deutschland fast jedes dritte Baby durch den Bauch geboren. Eine wundervolle Möglichkeit der Vorbereitung sind positive Geburtsberichte. Und genau deswegen haben wir in unserer wundervollen Instagram-Community nach solchen gefragt. In diesem hier berichtet Anika, 32, von ihrer Bauchgeburt. Der Text ist lang, aber jedes Wort ist es wert, gelesen zu werden. Wir beide haben viele Tränen der Rührung vergossen. Los geht’s:

Mein Wunsch nach einer selbstbestimmten Geburt

Ich habe mir vor der Geburt natürlich viele Gedanken gemacht und bin durch einen bunten Wald von Emotionen gewandert. Für mich sollte die Geburt unseres ersten Kindes so selbstbestimmt und natürlich wie möglich sein, am besten ganz ohne Interventionen von Außen. Ursprünglich hatte ich sogar große Angst vor einer Geburt in der Klinik - vor dem klinischen Herangehen an die Geburt, vor unerwünschten Interventionen, vor einem Kontrollverlust und dass vielleicht Dinge mit mir gemacht werden, die ich nicht möchte.

Deswegen wünschten meine Frau und ich uns im 7. Monat sogar noch eine Hausgeburt, was leider so kurzfristig nicht mehr möglich war, da wir keine Hebamme fanden, die uns hätte begleiten können. Ein Kaiserschnitt war somit das absolute Horrorszenario für mich und das wusste auch meine Frau.

“Das ist jetzt aber kein Urin, Anne!”

39+1 um 9 Uhr morgens kam dann unser Hollywood-Moment: Ich stand im Flur und unter mir ergoss sich klares Wasser. "Das ist jetzt aber kein Urin, Anne". Ich war mir sicher und 3 Stunden später standen wir vor dem Kreißsaal im Krankenhaus. Bei der ersten gynäkologischen Untersuchung wurde ein unreifer Muttermund, aber Fruchtwasserabgang festgestellt. 

"Hat man Ihnen gesagt, dass Sie ein sehr großes Baby bekommen? Haben Sie Diabetes? Ich schätze den Kleinen auf 4500 g und muss sie jetzt über die Risiken einer vaginalen Geburt aufklären und Ihnen einen Kaiserschnitt anbieten."
"Ich möchte es versuchen."
"Sie schaffen das. Wir haben hier schon 5 kg Babys zur Welt gebracht."

Die positive Einstellung der Ärztin gab mir Sicherheit und ich war hochmotiviert und absolut sicher, dass ich alles versuchen werde, den Kleinen vaginal zur Welt zu bringen.

In den ersten Stunden tat sich relativ wenig. Ich hatte leichte unregelmäßige Wehen und erkundete mit meiner Frau Berlin Zehlendorf. Ich lief barfuß über eine grüne Wiese, meditierte und tanzte zu einem Lied, das ich pausenlos in der Schwangerschaft gehört hatte. Als die Geburt am Spätnachmittag noch immer nicht in Gang kam, wurde klar, dass ich zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben muss. Meine Frau fuhr nach Hause und ich bekam es etwas in Anbetracht der Nacht in der Klinik mit der Angst zu tun. Was, wenn die Geburt losgeht und sie zu spät kommen würde? Was, wenn sie mich zu Interventionen überreden würden ohne, dass ich klar denken könnte?

“Ich schaffe das nicht ohne meine Frau”. Doch dann kam die Zuversicht zusammen mit einem Regenbogen über dem Krankenhausdach.

Die erste Intervention

Gegen 0:00 ihr sollte ich mich zum CTG schreiben im Kreißsaal melden. Der Muttermundbefund war nach wie vor unreif bei 2 cm. Ich hatte weiterhin unregelmäßige, leicht schmerzhafte Wehen und ich verlor gefühlte Eimer an Fruchtwasser. Die diensthabende Ärztin wollte langsam tätig werden, da nach ein Blasensprung nicht ewig Zeit bleibt. Zum ersten Mal fiel das Wort Einleitung und ich war am Boden zerstört und bat um Bedenkzeit.

Mehr als 12 Stunden nach meinem Blasensprung hatte sich einfach nichts getan. In mir spielten sich Filme von unkontrollierbaren Wehenstürmen ab. Doch ich kommunizierte meine Angst und die Hebammen und die Ärztin waren geduldig und verständnisvoll mit mir und beantworteten immer und immer wieder meine Fragen. Nach der Geburt habe ich übrigens einen Geburtsbericht angefordert und in der Dokumentation stand auf jeder Seite mindestens ein Mal: "Patientin erfordert sich Bedenkzeit." Ich bin heute noch sehr stolz, dass ich es geschafft habe, unter der Geburt noch so gut für mich und uns zu sorgen. Ich wurde also mit einer geringen Dosis über Nacht eingeleitet. Es tat sich allerdings relativ wenig, meine Wehen wurden stärker, blieben aber unregelmäßig.

Um 8 Uhr stand meine Frau wieder vor dem Kreißsaal und ich war unendlich erleichtert. Wir wussten, heute würde unser Baby kommen und wir könnten dabei zusammen sein. Die Ärztin stellte nach einer weiteren äußerst schmerzhaften Muttermunduntersuchung fest, dass sich noch immer nichts getan hatte. Der Kleine hatte sich keinen Millimeter ins Becken bewegt und der Muttermund war nach wie vor sehr unreif. Wir entschieden uns also dafür, die Cytotec-Dosis zu erhöhen. Im Laufe des Vormittags bekam ich sehr starke und recht regelmäßige Wehen. Es ging immer wieder literweise Fruchtwasser an ab - zumindestens hat sich das für mich so angefühlt. Ich hatte überall im Zimmer meine Geburtsaffirmationen angebracht - meine Frau hat es uns richtig schön gemacht. Wir waren noch immer im Vorwehenzimmer. Die Stunden vergingen und ich hörte eine Frau nach der anderen im Kreißsaal tönen und ihr Baby gebären.>

Meine Kräfte schwanden

So langsam wurde ich ungeduldig. Ich spürte meine Kräfte schwinden und ich konnte mir langsam nicht mehr vorstellen, wie ich noch Energie für die finale Phase aufbringen sollte. Die sollte doch am anstrengendsten sein. Aber es ging weiter. Die Ärztin untersuchte im Laufe des Nachmittags mehrmals meinen Muttermund. Diese Untersuchung ist so so schmerzhaft, dass ich bis heute nicht vergessen kann, wie furchtbar das war. Aber da alle Hebammen und Ärztinnen so rücksichtsvoll und verständnisvoll mit mir umgingen und mich niemals in meiner Selbstbestimmtheit beschnitten, habe ich das nicht als traumatische Erinnerungen abgespeichert. 

Gegen 15 Uhr am Nachmittag kam die Oberärztin und sagte, dass wir jetzt wirklich tätig werden müssen, da der Blasensprung über 24 Stunden her ist. Ich fühlte mich die ganze Zeit über ernst genommen in meinem Wunsch, unser Kind vaginal zu gebären. Die Ärztin schlug nun einen Wehentropf vor. Das war nun schon die zweite Intervention die ich mir niemals gewünscht hatte. Ich hatte große Angst vor unkontrollierbaren Wehen. Mir wurde eine PDA angeboten und nach sehr langer Diskussion mit meiner Frau und innerlicher Verzweiflung stimmte ich zu. Denn ich merkte, dass meine Kräfte schwanden und dass ich wirklich eine Pause brauchte. Ich hatte nun schon mehrere Stunden wirklich sehr starke Wehen, die leider überhaupt nicht Muttermundwirksam waren. Das hieß, ich brauchte eine Entlastung, wenn ich dieses Baby heute noch zur Welt bringen wollte. Meine Frau bat, während meiner "Pause" aufgrund der PDA um einen Spaziergang nach draußen. Auch hinter ihr lagen mehrere Stunden Geburtsarbeit und sie wusste, dass wir jetzt in die finale Phase kamen. Sie ging nicht davon aus, dass sich in den nächsten 15 Minuten irgendetwas tun würde.

Doch in mir braute sich ein kleiner Dialog mit mir selbst zusammen ich spürte dass ich wirklich am Ende meiner Kräfte war und als nun die fünfte Frau mit ihrem Baby an mir vorbei zog im Kreißsaal, dass ich das so nicht mehr schaffen würde. Die Oberärztin kam rein und untersuchte mich ein letztes Mal sehr schmerzhaft am Muttermund: Nach dem Wehentropf und der PDA und wirklich starken Wehen hatte sich nichts am Muttermund getan. Unser Sohn saß nach wie vor in sich ruhend wie ein kleiner Buddha unter meinem Herzen und bewegte sich kein Stück nach unten.

“Ich schaffe das nicht mehr.”

Mir wurde klar, dass ich es nicht mehr schaffen würde. Ich sagte es laut: “Ich schaffe das nicht mehr.” Und die Ärztin sagte: "Sie haben alles versucht. Sie haben Unmenschliches geleistet. Und jetzt werden wir ihnen helfen und ihr Baby holen. Wir machen jetzt einen Kaiserschnitt. Was halten Sie davon?”

Und ich stimmte ohne zu Überlegen mit einem starken "Ja" im Herzen ein.

Noch bis heute bin ich absolut überzeugt davon, dass unser Baby, diese weise Entscheidung lange vor mir traf. Er wusste einfach "da passe ich nicht durch". Als meine Frau wieder nach oben kam und sie nur das Wort Kaiserschnitt im Schwesternzimmer hörte, bekam sie einen Riesenschreck und erwartete, dass sie mich jetzt gleich völlig aufgelöst im Kreißsaal auffinden würde. Doch ich war die Ruhe selbst, strahlte sie an und sagte "wir machen jetzt ein Kaiserschnitt."

Die Ärztin kam noch mal rein ich begann zu weinen: ich wollte unser Baby so gerne vaginal gebären. Sie sagte: “Sie werden Ihr Baby jetzt durch den Bauch gebären und sie werden mithelfen können. Das ist eine ganz besondere Technik. Wir werden im OP ihre Wehen nutzen und sie müssen wirklich ganz doll mit pressen und sie werden ihr Kind über den Bauch gebären. Wir werden nicht in ihren Körper hineinfassen. Ihr Baby wird durch den Bauch geboren werden.”

Ich konnte mein Glück kaum fassen und glaubt es der Ärztin zunächst nicht. Sie sagte "Sie werden zusehen können." Also bekam ich es erst noch mal mit der Angst zutun. Ich hatte große Angst dass die Narkose nicht wirkt oder, na ja, eben vor dem Kontrollverlust. Aber das Team war unglaublich nett zu mir. Ich musste mehrmals weinen und alle beruhigten mich und machten Scherze und bereiteten mich darauf vor, dass ich jetzt gleich den schönsten Moment meines Lebens erleben werde. Ich merkte, wie mein Körper leicht wurde und versuchte mit allen meinen HypnoBirthing-Methoden zur Ruhe zu kommen. Als ich in den OP kam, kam fünf Minuten später meine Frau dazu.

Meine Kaisergeburt

Es ruckelte und ich atmete ganz in Ruhe und vertraute auf Mutter Natur und auf unser Baby. Dann nahmen die Ärzte das Verdeck herunter. Sie sagte: ”Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sie müssen pressen. Wenn ich es sage, dann pressen Sie so fest sie können.” Mein Körper war zwar taub aber irgendwie wusste ich ja, wo meine Gebärmutter sich in meinem Körper befindet und ich stellte mir vor, dass ich presse. 

Es brauchte drei Wehen und unser Baby wurde geboren. Ich kann mich heute leider nicht mehr daran erinnern, wie es aussah. Irgendwie hat mein Gehirn doch die Erinnerung ausgelöscht. Aber meine Frau hat es gesehen. Die Ärztinnen waren mit ihren Händen nicht in meinem Körper, unser Baby wurde durch meinen Bauch geboren. Ich habe unser Baby geboren und mein Baby hat mitgemacht. Ich werde den Moment nie vergessen, als unser Kleiner so direkt auf meine Brust gelegt wurde. Es roch süß und warm und er sah mich mit offenen Augen an. Wenn ich das schreibe, kommen mir die Tränen. Ich hatte meine Traumgeburt. Trotz allem, was passiert war. Trotz jeder Intervention. Ich glaube ich habe jede Geburtsintervention mitgenommen, die es auf dem Weg zum Kaiserschnitt eben gibt.

Heute nenne ich es nicht mehr Kaiserschnitt, sondern Bauchgeburt. Ich bin unglaublich dankbar, dass das Geburtsteam und die Ärzt*innen zu jeder Zeit so verständnisvoll und zugewandt und motivierend mit mir umgegangen sind und ich habe zu keiner Zeit in diesen 36 Stunden harter Geburtsarbeit meine Selbstbestimmung verloren. Und fühle heute noch, dass ich unser Baby gemeinsam mit ihm zusammen, stark auf die Welt gebracht habe. Ich wünsche jeder Frau, wirklich jeder Frau, die überraschend auch eine Bauchgeburt machen muss ,dass sie genauso ein Ärzteteam vor der Nase hat, das ihr so eine selbstbestimmte Bauchgeburt ermöglicht. Ich habe im Nachhinein noch viele Videos gesehen von Bauchgeburten mit dieser Technik und bin immer wieder sehr bewegt, weil ich weiß dass unser Baby durch die Kraft seines und meines Körpers zur Welt gekommen ist.

5230 g und 60 cm

Im übrigen haben die Ärztinnen noch im OP-Saal Wetten abgeschlossen, wie schwer dieses Kind wohl ist. Unser Sohn wog bei der Geburt 5230 g und war 60 cm lang. Das war der Grund, weswegen er schon vorher entschlossen hatte, dass er über die Bauchgeburt zur Welt kommen wird. Er hätte einfach wirklich nicht in mein Becken und auch nicht durch den Geburtskanal gepasst. So ein schlaues Kind.

Anika, 32 Jahre alt

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